Fährmannsfest 2010 – Hannovers kleines Woodstock
Aug 9th, 2010 | By Flutz | Category: Artikel, MusikAm Wochenende fand in Hannover / Linden wieder das alljährliche Fährmannsfest statt. In diesem Jahr waren unter anderen Die Happy, Die Apokalyptischen Reiter, Das Pack und Birth Control dabei und begeisterten drei Tage lang zahlreiche Besucher bei „Hannovers kleinem Woodstock“.
Als wir am Freitag auf das Festivalgelände zwischen Leine und Ihme kamen, war es bereits erstaunlich voll. Einzig das Fährmannsfest-Motto „bunt statt braun“ hätte diesmal „schwarz statt braun“ heißen können, denn die Meute vor der Bühne war fast durchgehend schwarz gekleidet. Dafür war es auf der Bühne gerade umso bunter, denn dort sorgten gerade die vier, in bunte Actionheldenkostüme gequetschten, Glasritter der Grailknights für reichlich Stimmung. Mit ihrem melodischen Fantasy Metal schafften sie es, dem musikhungrigen Festivalpublikum schon einmal ordentlich einzuheizen.
Anschließend wurde es dann etwas ruhiger und der Altersdurchschnitt stieg nicht nur im Publikum, sondern vor allem auf der Bühne. Birth Control, die Krautrock-Legende um Frontmann Bernd Noske mit ihrer ganz eigenen Art von Classic- und Hard-Rock waren an der Reihe und bewiesen, dass man es auch im Rentenalter noch richtig krachen lassen kann.
Etwas ruhiger ging es auch auf der Kulturbühne zu, wo Craved, Remember und Odeville mit etwas verträumteren Klängen, alle irgendwo zwischen Indie, Rock und Pop angesiedelt, ein gutes Alternativprogramm zur Hauptbühne lieferten.
Der Höhepunkt des Tages stand dann um 21.30 Uhr auf der Hauptbühne an und wurde bereits eine halbe Stunde vorher durch laute „Reitermania“-Chöre angekündigt. Die Apokalyptischen Reiter beeindruckten nicht nur durch ihre Musik, sondern auch durch ihre aufwendige Bühnenausstattung und eine spektakuläre Live-Show. Von der ersten Sekunde an zogen die Reiter wohl wirklich jeden in ihren Bann und ließen ihn auch so schnell nicht mehr los. Eindringliche Texte, ein gekonnter Mix aus Melodie und Härte, eine Performance, die ihresgleichen sucht und ein wenig Größenwahn – all das schaffen die Power Metaller gekonnt zu vereinen und wurden daher verdient von ihren Fans gefeiert, bis um kurz nach 23 Uhr nach einigen Zugaben endgültig Schluss war.
Den Samstag starteten wir mit den Jungs von See You Next Tuesday, die vor heimischem Publikum mit ihrem Mix aus Punk-Pop, Emocore, Alternative-Rock und ein wenig Hardcore schon nachmittags gut abräumten. Auch Fibre, ebenfalls aus Hannover, die anschließend die Hauptbühne bespielen durften, waren durchaus tanzbar und konnten die Stimmung, die bereits vor der Bühne herrschte, gut aufrechterhalten.
Auf der Kulturbühne war das Highlight des Kultursamstages neben dem traditionellen Open-Air-Poetry-Slam das Liedermaching-Duo Spieltrieb aus Oldenburg. Kennengelernt haben die beiden sich 2004 beim Covern von Fanny van Dannen, seit dem machen sie zusammen Musik und haben sich in der deutschen Liedermaching-Gemeinde längst etabliert. Trotz etwas angeschlagener Stimme bei Philipp und zwischenzeitlichen Unterbrechungen durch einen Herren namens Mario, der André wahrscheinlich immer noch sucht, schafften die beiden es, das Publikum mit ihren gewitzten Texten, Themen von Alltagssituationen über skurrile Gedanken und sich beschwerende Songs bis hin zur Gesellschaftskritik zu sowohl ruhigen als auch mal etwas aggressivere Klängen und einer gehörige Portion Selbstironie in ihren Bann zu ziehen und stimmten somit perfekt auf den folgenden Poetry Slam ein.
Auf der Hauptbühne sorgten dann die Argentinier von Karamelo Santo für reichlich Tempo. Längst sind die Jungs eine der bekanntesten lateinamerikanischen Formationen ihres Genres und dementsprechend selbstbewusst knallen sie uns ihren Sound, gemischt aus Latin Ska, Raggae, Cumbia, Rock und Punk, auf die Ohren und strahlen dabei eine Lebensfreude aus, die sie wohl nur auf der Bühne in Vollendung ausleben können. Diese Stimmung, die die Jungs da verkörpern, übertrug sich auch auf das Publikum. Es wurde getanzt, sogar ohne sich dabei zu verletzen, es wurde mitgesungen und überall auf dem bis weit hinter die Justus-Garten-Brücke mit Menschen gefüllten Gelände waren strahlende Gesichter zu sehen.
Und einem Highlight sollte das nächste folgen. Während der Poetry Slam auf der Kulturbühne in vollem Gang war, enterten Die Happy die Hauptbühne. Power-Frontfrau Marta startete mit ihren drei Jungs im Schlepptau sofort durch. So viel Power in so einer kleinen Person ist immer wieder aufs Neue faszinierend, besonders wohl für die Herren im Publikum. Obwohl Die Happy inzwischen eine feste Größe in der deutschen Rocklandschaft sind und sich die 17 Jahre Erfahrung deutlich bemerkbar machen, stimmt die Chemie zwischen Band und Publikum nach wie vor und Marta weiß genau, wie sie auch den letzten noch um den Finger wickelt. So bildeten Die Happy den krönenden Abschluss des zweiten Festivaltags und machten wieder einmal deutlich, dass das Fährmannsfest inzwischen einen Stammplatz in der Festivallandschaft einnimmt und jedes Jahr wieder den ein oder anderen Qualitätsgaranten nach Linden holt.
Am Sonntag stand dann ein weiteres Highlight an, welches uns trotz eher nassem Wetter nach Linden zog. Nachdem Kadosh schon für groovige Stimmung auf der Hauptbühne gesorgt und Snafus auf der Kulturbühne ihren ganz eigenen Mix aus Indie und elektronischen Klängen präsentiert hatten, stand Das Pack auf der Hauptbühne. Pensen, bekannt als Mitglied der Monsters of Liedermachin, und Flozze schaffen es nur zu zweit eine ganze Band zu bilden. So beherrscht Pensen siebensaitige E-Gitarren und Flozze reiht sich in die Zunft der singenden und stehenden Drummer ein. Dazu kommen Texte, die so wohl auch nur das Pack zum Besten geben darf. Was einige eventuell abschrecken könnte, löste bei den mitgereisten Hardcorefans trotz Regen reine Hysterie aus und ließ diese nicht nur im Schlamm pogen und sich damit bewerfen – da war es, das Woodstockfeeling – sondern auch nahezu abheben, direkt in das Pack-Universum. Bizarr, eigen, ein wenig neurotisch und dabei äußerst humoristisch rockten sich die beiden Chaoten aber nicht nur in die Herzen ihrer Fans, sondern sorgten auch beim restlichen Publikum für viel Grinsen und jede menge Spaß.
Den krönenden Abschluss bildeten dann die Lutz Krajenski Big Band, die sonst unter anderem mit Roger Cicero unterwegs ist, und Juliano Rossi, der mit bürgerlichem Namen Oliver Perau heißt und unter anderem Sänger bei Terry Hoax ist. Leider passte dieser Abschluss nicht ganz zum sonstigen Programm des Fährmannsfestes und bekam daher nicht von allen die Würdigung, die die Musiker verdient hätten. Die Lutz Krajenski Big Band feat. Juliano Rossi – das ist Swing vom Feinsten und dabei trotzdem am Puls der Zeit. „Als ich vorhin mit Anzug auf dem Fahrrad hier hergekommen bin wurde ich gleich zwei mal als Spießer und Schwuchtel beschimpft“ berichtete Perau alias Rossi während er mit verschlammten Chucks und Becksflasche mit der Big Band im Rücken auf der Bühne steht. So ist das wohl, wenn man plötzlich als Jazzer und nicht, wie zwei Jahre zuvor, als Rocker auf einem Festival spielt. Aber genau diese (Schein)Widersprüche machten den furiosen Abschluss des Fährmannsfestes zu etwas ganz Besonderem, sodass, trotz erneut einsetzendem Regen, noch einiges vor der Bühne los war. Einzig der Aufforderung das Woodstockfeeling perfekt zu machen und nackt im Schlamm zu tanzen wollte dann doch keiner so richtig nachkommen.